Kunst in der Praxis

Wir waren zu Gast im Projektraum Dauster in der Friedrichstraße 18 in Offenbach. Unter dem Thema „Kunst in der Praxis“ waren wir zur Finissage der Ausstellung "Memoriakabinett" der Künstlerin Petra Maria Mühl eingeladen. Neben einem Vortrag der Kunsthistorikerin Ulrike Kuschel bietet uns die Dipl. Ökotrophologin Martina Schneider ein kulinarisches Buffet an.

 

 

saluto-arttalk fragt

Mia Pelenco antwortet

 

saluto-arttalk fragt

 

Mia Pelenco antwortet

 

 

Deine Ausstellung trägt den Namen: „Memoriakabinett“ 

 

Dein Titel klingt rätselhaft und geheimnisvoll. Um welche Erinnerungen geht es?

 

Sind es persönliche Memoiren oder geht es um kulturelle Andenken, Gedächtnisse?

 

 

 

Das große Thema um „Erinnern und Vergessen“ begleitet mich in meiner künstlerischen Arbeit nun schon über 25 Jahre. Der Ausstellungstitel „Memoriakabinett“ fügt sich aus zwei Begriffen zusammen, die Dich weiterführen werden in ein Labyrinth von Erinnerungstechniken (der ars memoriae), Kunstgeschichte, Sammlungen und dem ganzen 'göttlichen Rest' ... 

 

MEMORIAtheater ist ein Begriff aus der Renaissance, in der auch die antike Mnemotechnik wieder aufgenommen wurde. Giulio Camillo Delmino entwarf dazu 1530 ein Erinnerungstheater. das „teatro della memoria“. 

 

Das RaritätenKABINETT oder auch Wunderkammer des 16. und 17. Jahrhunderts präsentiert Sammlungen aus verschiedensten Bereichen, Seltenheit und Merkwürdigkeit des Gegenstands standen im Mittelpunkt.

 

Beides verbindet das Sammeln – Objekte und Bilder als Hilfsmittel der Erinnerung und gleichzeitig das Erkennen der kosmischen Zusammenhänge und des eigenen Platzes in der göttlichen Ordnung.

 

Sammeln ist meine Grundlage, seien es Objekte, Texte, Fundstücke, alte Fotografien oder Rosen … alles fügt sich schlussendlich im Schaffensprozess zu etwas Neuem, einer eigenständigen Komposition.

 

Dem Betrachter eröffne ich in meiner Sammlung im „Memoriakabinett“ einen Reflexionsraum der eigenen Erinnerungen.

 

Du zeigst dem Betrachter drei Tafeln, die Aufzeichnungen der Erarbeitung des Themas zeigen. Dort zeigst Du den Zusammenhang zu der Göttin Mnemosyne auf.

 

Was hat Dich ursprünglich zu ihr geführt, was hat Dich begeistert Dich begeistert?

 

Die uns inspirierenden Musen sind wohl jedem bekannt – der „Kuss der Muse“ wird oft sehnlichst erwartet.

 

Als mir während meiner Nachforschungen im Thema „Erinnerung“ klar wurde, dass ausgerechnet die Titanin Mnemosyne, Göttin der Erinnerung, die Mutter der neun Musen ist, fügte sich schon einiges wie in einem großen Puzzle deutlicher zusammen!

 

 

Mnemosyne“ ist außerdem der Name eines Flusses in der Unterwelt, der wenn man von ihm trinkt, zu Allwissenheit führt. Im Gegensatz zum Fluss der Lethe, Göttin des Vergessens, die dafür sorgt, dass wir vor Antritt unserer Wiedergeburt das vergangene Leben vergessen.

 

Welchen Stellenwert hat die Erinnerung für Dich in Bezug zu Deinem heutigen Bewusstsein? 

 

Eine eigentlich sich schon selbst beantwortende Frage, denn ohne Erinnerung kein Bewusstsein. Das Selbst-Bewusstsein entsteht aus dem Teil meiner Vergangenheit, die ich erinnern kann, Episoden, die an Emotionen und Stimmungen geknüpft sind.

 

Nach dem Thema „Erinnerung“ gefragt, hat das Beschäftigen mit Kunstgeschichte, Mythologie und bspw. (Zahlen-)Mystik zu einem veränderten oder gar neuen Bewusstsein der eigenen Platzierung im Großen und Ganzen, sagen wir mal: Universum geführt.

 

Für mich persönlich führten alle Erkenntnisse und wahrgenommenen Zusammenhänge zu einer größeren Gelassenheit. Wahrscheinlich da diese großen Ordnungen meinen eigenen Ordnungsprinzipien entsprechen, was mich bestätigte, einerseits ein Teil dieser großen Ordnung zu sein und andererseits auch in meiner künstlerischen Arbeitsweise.

 

Damit habe ich die nächste Frage schon beantwortet.

 

 

Du beschäftigst Dich mit den kosmischen Zusammenhängen und dem eigenen Platz in der göttlichen Ordnung. Wo siehst Du Dich da heute? (s.o.)

 

In Deinen Arbeiten zeigst Du gerne Zahlen, geschrieben und geklebt.

 

Die große runde Papierarbeit hat den Titel ‚Magischer Kreis‘ mit Hinweis auf die Jupitertafel.

 

Es sind 16 Zahlen aufgeklebt, die in verschiedenen Summen die Zahl 34 ergeben.

 

Welche Sinnhaftigkeit geht von dieser Zahl für Dich aus?

 

Die Jupitertafel oder „Magische Quadrat“ ist „eine quadratische Anordnung von Zahlen (oder Buchstaben), die bestimmte Forderungen erfüllt.“ Das älteste bekannte magische Quadrat stammt aus China, ca. 2800 v. Chr. Im 16./17. Jh. wurde es Saturn-Siegel genannt.

 

In meiner Arbeit beziehe ich mich auf das Magische Quadrat, das auf dem Melencolia-Stich von Albrecht Dürer oben rechts zu sehen ist. Seine Arbeit begleitet mich schon seit über 20 Jahren. Die Renaissance hob den Künstler vom Handwerker zur genialen Persönlichkeit, in der Vier-Säfte-Lehre (ausgehend von der Elementenlehre des Naturphilosophen Empedokles) ordnete man den Künstler dem Melancholiker zu, demjenigen, der zu viel Schwarze Galle (melan cholia) in sich trägt, die ihn bedrückt und das Sein erschwert, aber gleichzeitig zur Genialität befähigte. In beiden Fällen wird der Planet Saturn zugeordnet. Dürer wählte für seinen Stich u.a. Gegenstände, die den zeitlichen Stillstand darstellen, das Jetzt. Und er wählt die Darstellung dieses Moments zwischen der Vergangenheit und der Zukunft mit Hilfe der Symmetrie. Die Sanduhr ist genau zur Hälfte durchgerieselt, die Waage ist im Lot, die Glocke schweigt, das Magische Quadrat, also die Wahl und Anordnung dieser Zahlen, nennt man auch Symmetrisches Magisches Quadrat. Zu den horizontalen und vertikalen Additionen kommen noch viele Möglichkeiten hinzu.

 

Die Summer aller Additionen ergibt immer 34. 17 + 17 = 34. In der arabischen Zahlenmystik steht die 17 für Geburt und Tod. So umschließen die Zahlen unsere Lebenzeit, geben dieser Zeit eine Ordnung und auch einen Halt.

 

Die Arbeit „Magischer Kreis“ vereinigt einige dieser Interpretationen in sich, und wird dadurch selbst wiederum zum mystischen Symbol.

 

Seit langer Zeit widmest Du Dich dem Thema der Rosen. Ursprünglich hast Du sie in viereckige Wachsplatten eingebracht. In mehreren Reihen hast Du sie angeordnet und von unten angestrahlt. Was hat Dich zu dieser Installation inspiriert, welche Intention hattest Du? 

Meine Installation „Der Rosentisch“ entstand im Rahmen meiner Diplomarbeit zum Thema „Erinnern und Vergessen – unter Bezugnahme der Farbe Rot“. 

Rot ist das Leben, das Blut, die Rosenknospe, in der christlichen Symbolik wird die Rose mit der Unschuld der Jungfrau Maria verbunden, aus Blutstropfen Jesu wuchsen Rosen. Das Symbol der Liebe, des ewigen und immerwährenden Glücks... 

Der Lichttisch entstand nach meinem Körpermaß, als könnte ich „wie auf Rosen gebettet“ liegen. Daraus ergab sich Platz für 70 Rosenwachsquadrate auf Neonlicht. 

Der „Rosentisch“ ist Teil der eigentlich dreiteiligen Diplomarbeit, ist also aus dem Kontext genommen, aber durchaus eigenständig, mit dem ich weiterhin arbeitete. Andere Teile der Arbeit entwickelten sich zum „Labor der Erinnerungen“, das mit roten Flüssigkeiten, Duftstoffen und alten Fotografien wie eine Experimentierwerkstatt anmutet.

Der dritte Part zeigt einen Sternenkosmos aus 24 Leuchtkästen, bestückt mit Fotoausschnitten aus meinem Kinderalbum. Mit Rot colorierte Details zeigen die Erinnerungsmomente, die bleiben. Rote Stromkabel verflechten sich untereinander wie pulsierende Blutsadern.

Frei nach Roland Barthes zitiert: „Unbeweglich fließt die Photographie von der Dar-stellung zurück zur Bewahrung“. In diesem Punkt liege ihre Melancholie begründet: der Betrachter sehe das existente Wesen, er erfahre es, und wisse gleichzeitig, dass es tot ist. 

Wir schauen in den Sternenhimmel und uns erreicht Licht von solch weit entfernten Himmelskörpern, dass wir nicht wissen, ob sie nicht schon erloschen sind.

 

Der Rosenkosmos zeigt keine harmonischen, lebendigen Rosenblüten. 

Der Ausdruck von Morbidität durch die leicht verwelkten Knospen, eingefangen 
im Wachs zeigen Vergänglichkeit, nahezu verblühte Wirklichkeit, wie wir sie alle im Leben kennen. 

 

Was siehst Du in den wächsernen Blütenblättern, was hat Dich berührt, diese Ebenen des Ausdrucks zu wählen? 

Es geht um das Scheitern des Festhaltens vergangener Momente. Dies wird besonders im Verwelken und Vertrocknen der wunderschönen Rosenblüten deutlich. Mancher uns sehr bedeutsame Moment sollte für immer frisch in unserer Erinnerung bleiben, wie zum Greifen nah! Jedoch verändert sich unser innerer Blick in unsere Vergangenheit. Die Erinnerungsbilder verändern sich, werden überdeckt, verstecken sich und verschwimmen... Je mehr wir danach greifen wollen, desto undeutlicher wird alles. So ist es mit der Erinnerung ähnlich wie mit intensiven Träumen, die uns nach dem Erwachen entgleiten.

Die vertrockneten, farblich immer noch intensiven Rosenblätter werden im Wachs konserviert. Wachs ist wiederum eines der alten Modelle für unsere Erinnerung – nach Platon ritzte sich unsere Erinnerung in Wachstafeln ein in unseren Köpfen. So schließen sich immer wieder Denkkreise in meinen Arbeiten und der vorhergehenden Recherchearbeit.

 

Eine abschließende Frage möchte ich Dir stellen:

 

Wenn die Lebendigkeit der Erinnerung für Dich im Leben jetzt eine wichtige Rolle einnimmt und ihren Beitrag zur Gestaltung gibt, was und welche Kräfte formen für Dich die Zukunft?

 

An die „Lebendigkeit der Erinnerung“ glaube ich mittlerweile aus eigener tiefgreifender Erfahrung nicht mehr. Alle meine Arbeiten zu diesem Thema sehe ich sehr bestätigt. Das Vergangene zerrinnt, nichts bleibt wie es war. Das Schemenhafte begleitet, die Momente blitzen, Mosaiksteine bleiben – aber nie das Ganze. Das ist unsere Zeitdimension, in der wir im stetigen Jetzt existieren. Mit einem Bein im Gestern, mit den Gedanken schon im Morgen.  So ist es mir wichtiger geworden, das Jetzt einzufangen, den Moment des Erkennens und Verstehens, unsere Geistesblitze und erhellenden Momente.

 

Welches attraktive Ziel verfolgst Du in näherer Zukunft?

 

Vor 15 Jahren begann ich mit einem Projekt zum Thema „Großstadt Pflanzen“ – urbane Gewächse, ein Wortspiel mit dem ich skizzenhaft umging. Es sollte sich zu einem „Baum-Projekt“ auswachsen, Gespräche mit dem Grünflächenamt, interessante Aspekte von der Anzahl der Baumsorten in Offenbach zu der Anzahl der Länder, aus denen die Menschen in Offenbach stammen. Das Projekt blieb Idee. Mein Leben und Arbeiten entwickelte sich erst einmal ganz anderes.

 

Bäume und Wald kehrten in den letzten Jahren intensiv wieder zurück. In der Stille, die ich mehrmals im Jahr in einem Kloster an einem schönen Waldesrand suche, entdeckte ich einen Birkenhain, besuchte ihn schon zu jeder Jahreszeit, fotografierte und experimentierte.

 

Durch Deine aktivierenden Hinweise weiß ich jetzt, dass dieser Baum wunderbar in meine jetzige Lebens- und Arbeitssituation passt: als Symbol des Neuanfangs.

 

„Poetisch in der Gegenwart von Birken“ werde ich weiterarbeiten... nicht ohne Dürer aus den Augen zu verlieren. So wird sich das Neue mit Gedachtem lyrisch verweben.

 

Fortsetzung folgt! 

 

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